Vom 29.10. bis zum 01.11.2020 war die Ausstellung ZWEI GRAD PLUS für Publikum geöffnet, bevor sie vier Tage später aufgrund des Lockdowns schließen musste. Doch vier Tage sind natürlich viel zu kurz, um das Engagement der Künstler*innen und des Teams als auch die Unterstützung der Förderer angemessen zu würdigen.

Auch wenn eine Ausstellung online nicht ein reales „Kunst erleben“ ersetzen kann, so bietet die 360° Panorama Darstellungsform dennoch ein möglichst realistisches, dreidimensional erfahrbares Abbild des Ausstellungkonzeptes und einen individuellen Zugang zur Kunst. Die Besucher*innen können die Ausstellung räumlich erleben – mehrere Werke gleichzeitig betrachten, sich nah heran „zoomen“ und entfernen, Details begutachten, und sich durch die Ausstellung navigieren. In der lang anhaltenden Zeit des Lockdowns ist dies vor allem aber auch eine Möglichkeit, künsterlische Inhalte wie auch aktuelle Diskurse weiterhin zu thematisieren, zu präsentieren und zu vermitteln.

HIER GEHT ES ZUR 360° PANORAMA AUSSTELLUNG ZWEI GRAD PLUS

360° Panorama Ausstellung ZWEI GRAD PLUS

ZWEI GRAD PLUS setzt sich künstlerisch mit dem dringenden Thema rund um den Klimawandel, insbesondere mit den Auswirkungen der Kohleförderung auf die Umwelt, auseindander. Die Generation um Greta Thumberg, Gründerin der FRIDAYS-FOR-FUTURE Bewegung spricht oft davon, dass es keinen Planeten B gibt. Wir können nicht auf einen anderen Planeten ausweichen und müssen endlich handeln. Der Kohleausstieg ist ein zentrales Thema, das in diesem Zusammenhang besondere Beachtung verdient. Vor allem die jüngsten Ereignisse und Proteste gegen die Abholzung des Hambacher Waldes katapultierte die Debatten rund um den Braunkohleabbau sowie seine Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt wieder verstärkt in das gesellschaftliche Bewusstsein zurück. Gefordert ist schnelles Handeln und ein Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kaum ein Bundesland ist so mit der Kohleförderung verbunden wie Nordrhein-Westfalen. Das Ruhrgebiet war lange Zeit unter dem Namen „Kohlenpott“ bekannt und im Herzen von NRW liegt das rheinische Braunkohlegebiet, das zu den Größten Europas gehört. Hier betreibt RWE, das zweitgrößte deutsche Energieunternehmen, drei riesige Braunkohle-Tagebaue und vier Kraftwerke, die seit Jahrzehnten die Landschaft und die Sozialstruktur in dieser Region verändern: Seitdem sind dutzende Dörfer und Kleinstädte in riesigen Löchern verschwunden. Sehr viele Menschen sind in Neuorte umgesiedelt worden oder haben ihre Heimatregion ganz verlassen. Von dem mehr als 4000 Hektar großen Waldgebiet zwischen Aachen und Köln, ist heute nur noch ein verschwindend kleiner Rest übrig. Als dieser auch noch gerodet und abgebaggert werden soll, mobilisieren sich immer mehr Menschen und Aktivisten und kämpfen für den Erhalt des Waldes. Internationale Aufmerksamkeit erlangte der Hambacher Wald spätestens 2018 und wurde weltweit zum Symbol des Klimaschutzes.

Die interdisziplinäre Ausstellung ZWEI GRAD PLUS nimmt ausgehend von lokalen Zusammenhängen rund um den „Hambacher Forst“ die globale Dimension des Klimawandels in den Blick. Bewusst wurden auch Künstler*innen eingeladen, die nicht aus NRW kommen, um begreifbar zu machen, wie transnational der Klimawandel auf die globale Bevölkerung wirkt. Die fotografischen und installativen Arbeiten sind forschende Ansätze, die hinterfragen und mit ästhetischen Mitteln die unterschiedlichsten Aspekte der Kohleförderung sowie die Auswirkungen auf die Umwelt beleuchten. Die künstlerischen Werke sind auch eine Verdichtung des Themas, in dem sie einen fokussierten Blick außerhalb massenmedialer Bilderwelten ermöglichen. Eine parallel zur gesamten Ausstellungszeit eingerichtet Druckwerksatt steht zur aktiven Teilnahme allen Besucher*innen zur Verfügung. Hier kann aus einem reichen Fundus an Bildern und Texten, angeleitet oder auch frei, jede*r Besucher*in ein eigenes Zine produzieren. Die Ausstellung entstand in einer kuratorischen Zusammenarbeit von Rosanna D'Ortona, Janine Koppelmann und Margrit Miebach.

Jazoo Yang ist eine koreanische Mixed-Media-Künstlerin mit Sitz in Berlin. In ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sich Yang oft mit dem Verschwinden, vor allem mit dem Verschwinden ganzer Stadtviertel, die der Gentrifizierung zum Opfer fallen. Ihre „Materialserien" sind eine Verschmelzung des Verschiedenen, des Fernen und des Missachteten. Sie bestehen aus den verlorenen Fragmenten des städtischen Lebens - Putzstücke der Außenwände eines Gebäudes, Tapetenreste eines Innenraums, die Überreste antiker Fliesen. All diese losen Fragmente verlorenen gegangener Orte, fügt Yang in künstlerisch-poetische Kompositionen zusammen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen lassen.
Für die Ausstellung „Zwei Grad Plus“ befasst sich Yang erstmalig mit dem Verschwinden ganzer Wald- und Naturflächen und begibt sich auf eine Spurensuche in das Gebiet rund um den Tagebaue Hambach und Garzweiler II. Als Ergebnis ihrer Recherche zeigt Yang die Installationen EVERYTHING THAT REMAINS AND SOMETHING THAT NEVER DISAPPEARS und NOW WHAT DO WE WISH FOR?.

Pietro Viti, Jahrgang 1991, lebt und arbeitet in Florenz. Er erkundet Kohletagebaue in Italien, Deutschland, Großbritannien und anderen europäischen Ländern. Er stellt die Frage nach geopolitischen Zusammenhängen und versucht die Auswirkungen der ständigen Präsenz der Kohleförderung zu verstehen, die sie auf Landschaft und Umwelt und das Leben in den jeweiligen Gebieten hat.
Pietro Viti erhält 2015 seinen Abschluss an der Studio Marangoni Foundation in Florenz. Dokumentarfotografie und Multimedia-Journalismus, insbesondere zu sozialen und ökologischen Themen, sind seine Arbeitsschwerpunkte. „The Coal File“ ist der Titel seiner Langzeitbeobachtung der europäischen Kohletagebaue, mit der er 2015 in Italien beginnt. Sie ist eine Erkundung des Fotografen durch Europa mit Blick auf die heutige Kohleindustrie. In Kapitel unterteilt, behandelt Pietro Viti jeweils ein Land, kritische Betrachtung und kontemplative Beobachtung von Landschafts- und menschlichen Interaktionen mit Hilfe einer 4x5-Großformatkamera. Eine Auswahl der ersten drei Kapitel ist hier zu sehen.

Tim Wagner arbeitet als freiberuflicher Fotojournalist und studiert in Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. 2015 begleitete Wagner die erste Aktion von Ende-Gelände und war seitdem bei allen größeren Massenaktionen der Bewegung dabei, als sie Braunkohletagebaue im Rheinland oder in der Lausitz besetzten. In seiner fotografischen Serie EXIT COAL – ENTER FUTURE zeigt er Ausschnitte aus den Aktionen der sozialen Bewegung, die es damit geschafft hat, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die RWE, einen der größten CO2 Produzenten in Deutschland zu lenken und sie an ihrer klimaschädlichen Arbeit zu hindern. Ausgerüstet mit Strohsäcken, als Sitzmöglichkeiten, riesigen Luftkissen zum Schutz vor der Polizei und einheitlich in Maleranzüge gekleidet, dringen tausende Personen in spektakulären Aktionen des „zivilen Ungehorsams“ auf die Gelände der jeweiligen Tagebaue vor und besetzten dort Schienen und Bagger. Wie Ameisen bahnen sie sich stets in mehreren „Fingern“ den Weg durch die oft karge Landschaft und schwärmen aus, um die einzelnen, vorher genau bestimmten Ziele zu erreichen.

Die Arbeit von Matthias Jung zeigt Einblicke in Archive und gefundene Objekte, die im Zuge des Abbaggerns und Umsiedelns (übrig)geblieben sind. Objekte, die von Archäologen entdeckt und erfasst wurden, und uns erahnen lassen wie lange es im rheinischen Kohlerevier um die Tagebaue Hambach und Garzweiler Siedlungen und die damit verbundenen Biografien gegeben hat. Die Arbeit zeigt aber auch zeitgenössische Objekte, die im Sinne einer Rettung vor dem Verschwinden aufbewahrt wurden. Die Orte / Dörfer gibt es mittlerweile nicht mehr. Was bleibt, wenn Orte verschwinden? Was kommt? Die Arbeit beansprucht keine Bestandsaufnahme, sie dokumentiert im Stile der Objektfotografie Epochen menschlichen Lebens, welches zugunsten der Kohleförderung weichen musste. Matthias Jung lebt und arbeitet im Umland des rheinischen Kohlereviers und dokumentiert in verschiedenen Werkreihen das Leben dort.


ZWEI GRAD PLUS wird ermöglicht durch die Förderung der Stadt Köln, der Bezirksvertretung Ehrenfeld, der Imhoff Stiftung, der Beatrix Lichtken Stiftung, der BürgerStiftung Ehrenfeld sowie durch das Italienische Kulturinstitut Köln.